Der Herbst hat nun vollständig, entgültig Einzug genommen, und nichteinmal die größten Optimisten können den Winter jetzt noch leugnen. Der Himmel ist überzogen von grauer, kalter Milch, die müden Bäume werfen ihr braun-oranges Laub in nassen Haufen auf die Straßenränder. Die ganze Welt ist gewaschen, ist kühl und duftet angenehm nach rottendem Laub.
Ich selbst habe heute meinen roten Herbstmantel angezogen. Auf dem Weg zur Universität steckte ich mir die Kopfhörer meines mp3-Players in die Ohren und hörte französischen Chanson. Die Pianoklänge untermalten den Wind, der meine Haare durcheinander warf, spielten mit den fallenden goldenen Blättchen, färbten das Grau der Luft warm. Als ich über die Brücke ging, floss unter mir das ruhige Wasser, in dem rote und gelbe Blätter wie Schiffe trieben, immer im Takt, eine einheitliche, vollkommene Schönheit.
Ich wurde mir mitmal folgender Sache bewusst: Das Mädchen, das mir auf dem Fahrrad entgegenkam, hatte ebenfalls Kopfhörer in den Ohren. Der junge Mann, der mit mir in den Bus stieg, auch. Viele Menschen.
Ich frage mich, was sie wohl hörten. Hörten sie Rock, der ihre Aufmerksamkeit aus der Welt stahl? Hörten sie traurige Filmmusik, die jeden Menschen, dem sie begegneten, in ihrem Geist mit einer tragischen Geschichte verband? Sahen sie mich tänzeln? Passte mein Tänzeln wohl zu ihrem Takt? Wie sieht ein Mädchen in einem roten Herbstmantel aus, für jemanden, der Jazz hört, oder für jemanden, der Metal hört? Wie sieht die Welt meiner Mitmenschen wohl aus?
Ich kann es nicht wissen. Sie tragen Kopfhörer, und ich kann nicht hineinhören, was sie hören.
Genauso wenig, wie ich in ihre Gedanken sehen kann.