Es ist ein Gefühl diffuser Unzufriedenheit, das die Diskussion im Studio bei Günter Jauch zum ersten Fernsehinterview von Edward Snowden bei mir hinterlassen hat. Ich fand das Gespräch angenehm, doch hatte das absolute Gefühl, auf der Stelle zu treten. Ich möchte hier einen Finger darauf legen, warum eine Debatte um Geheimdienste, die Zukunft des Internets und der Gesellschaft stagniert und konstruktive Vorschläge darüber machen, wohin wir sie entwickeln könnten. Ich werde mir den Platz nehmen, den ich in einer Talkshow nicht habe.

Vielleicht liegt dies an dem Stil, in dem die deutsche Talkshow funktioniert. Sie setzt auf Konfrontation und kombiniert darum Gäste, die sich möglichst nicht auf die Farbe von Gurken einigen können. Das garantiert einen Schlagabtausch und damit immerhin eine gewisse Mindesunterhaltung. Ist aber keine gute Grundlage, um eine Debatte zielgerichtet von einem Punkt vorwärts zu bewegen.

Im aktuellen Beispiel vertrat Ex-US-Botschafter Kornblum mit Journalisten Reichelt die Ansicht, dass Snowdens Enthüllungen hauptsächlich Schaden anrichten – vor allem für die transatlantischen Beziehungen. Ströbele, Seipel und ich bildeten Team Edward, das vor allem darum bemüht war, wie man den Whistleblower gut schützen und seine Enthüllungen sinnvoll nutzen könne. Beide Diskussionen wären für sich durchaus spannend gewesen, wären sie nur getrennt von einander geführt worden, anstatt sie gladiatorenartig gegen einander zu schmeißen.

Die Talkshow ist hier aber nur ein Symbol des deutschen Diskurses, der oft so polar aufgebaut ist. Sie hat mir sehr klar aufgezeigt, wie sehr die Diskussion von Kalter-Kriegs-Logik verzehrt wird.
Viele Unterstützer von Snowden richten ihre Skepsis einzig und allein gegen die NSA, den amerikanischen Geheimdienst. Seine Gegner – wie etwa Edward Lucas – machen eine Dichotomie zwischen bösen russisch-chinesischen Interessen und den USA auf – „dem Vaterland des Internets“. Auch andere Talkshows wie Maybritt Illner (Thema „Digitale Besatzungsmacht – müssen wir uns vor den USA schützen?“) zeichnen hauptsächlich das Narrativ von verbündeten und verfeindeten und sich plötzlich misstrauenden Nationalstaaten.

Die Sache ist aber, dass der kalte Krieg vorbei ist. Die Paradigmen rund um Geheimdienste haben sich stark verändert. Erstens haben wir durch neue Technologie die Möglichkeit einer vergleichsweise unaufwändigen, flächendeckenden Totalüberwachung noch so unverdächtiger Menschen. Zweitens tauschen sich die Geheimdienste unter einander aus, sodass es passiert, dass Auslandsgeheimdienste die Daten ihrer eigenen Bürger erhalten.
Die potentiellen Ziele sind nicht mehr so leicht in Nationalstaaten zu unterteilen. Der diffuse Begriff des Terrorismus erlaubt es Auslandsgeheimdiensten, alles und jeden unter Verdacht zu nehmen. Potentielle Ziele haben nichts mehr mit Nationalgrenzen zu tun.

Ich würde also ungern von den Akteuren Deutschland, USA, Russland sprechen, sondern neue einführen. Die neuen Akteure sind Gesellschaften, Staaten und Geheimdienste.

Die Hauptfrage, die Snowdens Informationen hauptsächlich aufwerfen, ist meiner Meinung nach nicht „Können wir den USA noch vertrauen?“, sondern: „Haben Gesellschaften wirklich noch die Möglichkeit, sich vor ihren eigenen und anderen Staaten zu schützen?“.
Klar, der Staat soll uns schützen. Aber wir müssen auch die Möglichkeit haben, uns vor dem Staat zu schützen, sollte dieser sich selbst ermächtigen und über uns erheben. Diese Überlegungen haben wir an oberster Stelle im Grundgesetz festgehalten. Wir haben durch viele dunkle Perioden der Geschichte gelernt, warum das so wichtig ist. Das trifft übrigens genau so auf Amerikaner zu.

Das Problem ist nicht, dass die bösen USA das arme Deutschland ausspähen. Das Problem ist, dass ich, die ich mich in nichts verdächtig gemacht habe, einen Peilsender an mir habe. Es wird aufgezeichnet, wann ich wo bin, mit wem ich telefoniere und schreibe, was ich kaufe und so weiter. Es ist mir auch völlig egal ob das der BND aufzeichnet oder die die NSA, die es dann an französische Geheimdienste weiterleitet, die das widerum an den BND überstellen könnten. Es ist mir auch egal, ob Menschen tatsächlich Einsicht in diese Daten nehmen. Ich werde überwacht. Alle werden überwacht. Wir werden alle als potentielle Terroristen, nicht als Bürger, behandelt. DAS ist, was Snowden bewiesen hat. Das widerspricht jedem rechtstaatlichen Prinzip, wo normalerweise ein Richter auf einen Verdacht hin eine Durchsuchung bei mir anordnen müsste. Das wird einfach übergangen. Wir wissen nicht genau, von wem. Oder in welchem Maß. Wir wissen eigentlich fast gar nichts. An dieser Stelle können wir nicht mal sicher sein, dass die Geheimdienste dem Rest des Staatsapparats gegenüber ehrlich sind. Es ist nicht überprüfbar. Und hier müssen wir uns ganz ernsthaft die Frage stellen, wie vereinbar solche Organisationen mit dem Gedanken demokratischer Staaten sind.

Die Existenz von Geheimdiensten wird mit einem Satz rechtfertigt, den Reichelt in der Talkshow gesagt hat. Regierungen spionieren nun mal andere Regierungen aus. Das ist normal, das wusste Merkel auch schon immer und es ist gewissermaßen eine Ebene der internationalen Kommunikation. Was Regierugnen aber unter einander tun, können sie wegen meiner unter sich ausmachen. Aber als nicht gewählter, nicht verdächtiger Mensch habe ich das Recht auf Privatssphäre. Die neue Erkenntnis ist gerade nicht, dass Merkel überwacht wird. Die Erkenntnis ist, dass ihr es werdet.

Die Gesellschaften müssen sich also vor den Staaten schützen können, die widerum zu diesem Ziel einen Umgang mit ihren Geheimdiensten finden müssen. So sehe ich das Geflecht.

Was können wir tun?

Tacheles, konkrete Schritte jetzt. Wir haben neue Technologie. Was nu?

Ich schlage drei Schritte vor.

1. (kurzfristig) Was jeder tun kann. Wir können Spionage teurer und damit unattraktiver machen, indem wir unsere Daten und Kommunikation verschlüsseln. Wir können an besserer, leichter bedienbarer Verschlüsselungssoftware arbeiten und die gute, die es bereits gibt, verbreiten und beibringen.
Wir können Projekte wie Freifunk ausbauen, um stellenweise parallele, dezentrale Netzinfrastrukturen zu bauen.
Wir müssen uns gegenseitig bilden. Wir werden uns nur selbst schützen und gewissenhaft handeln können, wenn wir verstehen, was eigentlich Daten sind, was technisch möglich ist, wie wir sinnvoll verschlüsseln können und so weiter.

2. (langfristig) Auf politischer Ebene müssen wir im Angesicht neuer Technologie neue Regeln beschließen, was mir damit machen dürfen, und was nicht. Und da dies eine internationale Geschichte ist, brauchen wir internationale Verträge. Wir müssen sie aber so gestalten, dass ihre Einhaltung auch überprüfbar ist. Wo wir wieder an die Frage der Umgestaltung oder der Abschaffung der Geheimdienste stoßen.

Ein Gedanke, den Kornblum bei Jauch formuliert hat, war richtig. Im Prinzip hat er gesagt: „Ihr könnt euch ja aufregen, so viel ihr wollt, aber wir werden nun mal tun, was wir tun.“ Das ist das Problem. Appelle werden keine Wirkung zeigen. Erst recht nicht einfach Appelle an die USA. Die USA sind nicht der Feind. Die Zivilgesellschaft in den Staaten gehört sogar zu unseren Verbündeten, im Streben, uns vor Staaten schützen zu können. Unser Feind ist der menschliche Drang, einen möglichst gründlichen Job zu machen und darum alle Daten zu sammeln, an die man kommt – auch wenn der daraus entstehende gesellschaftliche Schaden weit größer ist, als der Nutzen.

Und falls noch irgendjemand da draußen denkt: „Ich habe nichts zu verbergen“ – meine ukrainische Großmutter hatte nichts zu verbergen. Niemand interessierte sich für sie, niemand hätte ihre Briefe gelesen. Und nun findet sie sich aktiv in der Mitte einer Revolution, an deren Ende Gott-weiß-wer an der Regierung sein wird. Ich will keineswegs zu Panik aufrufen. Ganz ruhig, ganz nüchtern, müsst ihr euch nur die Frage stellen: Was macht euch sicher?

Lasst uns diese Debatte weg von den Verflechtungen vergangner Zeiten auf die Herausfoderungen der Zukunft lenken.