Ich habe gestern folgenden Tweet formuliert:

„Für Angst ist übrigens kein Grund. Die Welt wird gerade anders, ja. Aber es ist Angst, durch die sie schlimmer wird.“

Dieser Tweet war sowohl sehr beliebt und oft geteilt, als auch kritisiert. Ich will mir darum den Raum nehmen, etwas genauer zu auszuführen.

Die Hauptkritik am Tweet ist, dass Angst ein Gefühl sei und man Angst nicht einfach abstellen könne. Von mir als ausgebildeter Psychologin müsse man diese Empathie erwarten können.

Das ist mir bewusst. Ich hätte auch schreiben können: „Viele haben derzeit Angst. Auch ich habe Angst. Die Angst wird erzeugt aus dem Gefühl, die Welt jeden Tag ein wenig schlechter verstehen zu können. Aus dem Gefühl, dass die Einschläge näher kommen. Sie ist ganz natürlich und wir müssen sie für uns nur richtig einordnen und daraus keine Fehlschlüsse ableiten, die zu Rassismus und Repression führen“.  Aber erstens hätte das nicht in einen Tweet gepasst. Zweitens hatte ich auch die Sorge, dadurch in einen Chor einzufallen, den wir ohnehin überall lesen und der zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann. Wenn mir jede Zeitung sagt, dass ich Angst habe, habe ich irgendwann Angst, auch wenn das vielleicht nicht meine initiale Reaktion war.

Andere Kritik: Würde ich das den Angehörigen der Opfer (von Würzburg, München, Ansbach) auch ins Gesicht sagen?

Ins Gesicht der Angehörigen irgendwas außer einer ehrlich empfundenen Beileidsbekundung zu sagen wäre hochgradig unnötig. Die Opfer und Angehörigen so verschiedener, allesamt schrecklicher Ereignisse in so einer Debatte zu instrumentalisieren, ist meiner Ansicht nach nicht richtig. Aber prinzipiell würde ich natürlich meine Ermutigung wiederholen, sich nicht im Alltag Angst hinzugeben.

Denn das Eine sind Emotionen – wir haben sie und wir haben ein Recht auf sie. Das Andere ist die daraus abgeleitete Handlung. Wenn man öffentliche Plätze meidet, Feiern absagt, sich in planlose Law-and-Order-Politik rettet und eigene Grundrechte beschneidet, dann ist man Gefangener in einem Zusammenspiel von islamistischen Terroristen, von Breivik inspirierten Amokläufern und Rechtspopulisten. Man wird passiv und überlässt das Handlungsfeld jenen, die einen in diese Passivität getrieben haben. Einsätze der Bundeswehr im Inneren werden gefordert. Flächendeckende Überwachung. Dinge, die das Leben in diesem Land sehr stark und nachhaltig verändern können – ohne effektive Maßnahmen zum Schutz vor solcher Gewalt zu sein.

Die Forderungen nach Bundeswehr im Inneren, mehr Überwachung, Schließung der Grenzen, Ausweisung von Ausländern, mehr Kontrollen von Muslimen etc. mögen sich auf den ersten Blick manchen vielleicht aufdrängen. Aber es sind Forderungen, die unsere eigenen Rechte und Freiheiten beschneiden. Etwas, das das Leben in diesem Land für mich immer sehr lebenswert gemacht hat und das ich verlieren würde. Und DAS ist das Ziel von Terroristen. Nicht „nur“ die Toten. Nur damit wir uns nicht missverstehen – ich hätte gern, dass wir nur den Tätern das Leben schwer machen könnten. Aber das können wir nicht.

Die Gewalt, die wir in speziell in Deutschland in den jüngsten Tagen gesehen haben, hatte unterschiedliche Ursachen und passiert so in anderen Teilen der Welt schon länger. Und autoritär geführte Länder mit wenig Freiheitsrechten, starker Überwachung und Repression zeichnen sich nicht gerade durch ein geringeres Maß von Gewalt aus. Die Täter bleiben. Aber allen anderen geht es schlechter. Das meinte ich mit „Angst macht die Welt schlimmer“. Mit härterer Law-and-Order-Politik ist den verschiedenen Ursachen von Gewalt gegen Menschen nicht zu begegnen, dies ist meine feste Überzeugung.

Doch mit anderen Mitteln ist ihnen zu begegnen. Mit besserer psychotherapeutischer Versorgung. Mit Aufklärung zum IS und zu Islamismus bei jungen Menschen. Mit besseren Bildungschancen für alle.  Mit einer besonnenen Außenpolitik, die keine repressiven Regime stützt und (Bürger-)Kriege zu verhindern sucht. Mit Demokratisierung der Bildung. Mit sozialen Strukturen, die jene besser auffangen, die sich überholt fühlen.

An einem dieser Aspekte arbeite ich seit einigen Jahren und werde auch in Zukunft daran arbeiten. Das ist mein Versuch, meinen kleinen produktiven Teil hinzuzufügen. Aber all das ist nun mal nicht zu tun, wenn ein Klima der Angst lähmt. Es ist ein entwicklungsverhinderndes Gefühl, wenn man sich ihm hingibt und sich gegenseitig darin hochschraubt, bis es zur Panik wird.

Und das war eigentlich alles, was mit dem Tweet gemeint ist. Er ist also ungenau. Er meint nicht: „Empfindet keine Angst“. Sondern: „Lasst euch nicht von ihr lähmen. Schenkt die Zukunft nicht denen, die sie auslösen.“

Und ich weiß auch, dass der langsame Ausbau von Bildungswegen und therapeutischen Möglichkeiten kein unmittelbares Sicherheitsgefühl erzeugt.  Auch ich fühlte mich angesichts der Ereignisse manchmal unfähig, meine Arbeit zu machen, weil sie so lange dauert und sich manchmal wie ein Tropfen auf den heißen Stein anfühlt. In diesen Momenten möchte ich verzagen. Aber das wäre falsch. Der Tweet war also auch an mich selbst gerichtet.

Ich habe vielleicht Angst, aber das ist nebensächlich. Die Hauptsache für mich ist: ich möchte keine Angst haben. Denn ich möchte diese Dinge verhindern. Mit sinnvollen, langfristigen Maßnahmen. Und dennoch wird es Gewalt geben. Aber je besser die Strukturen sind, die Menschen vor einer Radikalisierung bereits unterstützen können, desto weniger wird es geben. Ich möchte den Opfern von Amokläufen und Terror gar nichts ins Gesicht sagen. Ich möchte, dass es sie nicht gibt.