Ich habe gestern folgenden Tweet formuliert:
„Für Angst ist übrigens kein Grund. Die Welt wird gerade anders, ja. Aber es ist Angst, durch die sie schlimmer wird.“
Dieser Tweet war sowohl sehr beliebt und oft geteilt, als auch kritisiert. Ich will mir darum den Raum nehmen, etwas genauer zu auszuführen.
Die Hauptkritik am Tweet ist, dass Angst ein Gefühl sei und man Angst nicht einfach abstellen könne. Von mir als ausgebildeter Psychologin müsse man diese Empathie erwarten können.
Das ist mir bewusst. Ich hätte auch schreiben können: „Viele haben derzeit Angst. Auch ich habe Angst. Die Angst wird erzeugt aus dem Gefühl, die Welt jeden Tag ein wenig schlechter verstehen zu können. Aus dem Gefühl, dass die Einschläge näher kommen. Sie ist ganz natürlich und wir müssen sie für uns nur richtig einordnen und daraus keine Fehlschlüsse ableiten, die zu Rassismus und Repression führen“. Aber erstens hätte das nicht in einen Tweet gepasst. Zweitens hatte ich auch die Sorge, dadurch in einen Chor einzufallen, den wir ohnehin überall lesen und der zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden kann. Wenn mir jede Zeitung sagt, dass ich Angst habe, habe ich irgendwann Angst, auch wenn das vielleicht nicht meine initiale Reaktion war.
Andere Kritik: Würde ich das den Angehörigen der Opfer (von Würzburg, München, Ansbach) auch ins Gesicht sagen?
Ins Gesicht der Angehörigen irgendwas außer einer ehrlich empfundenen Beileidsbekundung zu sagen wäre hochgradig unnötig. Die Opfer und Angehörigen so verschiedener, allesamt schrecklicher Ereignisse in so einer Debatte zu instrumentalisieren, ist meiner Ansicht nach nicht richtig. Aber prinzipiell würde ich natürlich meine Ermutigung wiederholen, sich nicht im Alltag Angst hinzugeben.
Denn das Eine sind Emotionen – wir haben sie und wir haben ein Recht auf sie. Das Andere ist die daraus abgeleitete Handlung. Wenn man öffentliche Plätze meidet, Feiern absagt, sich in planlose Law-and-Order-Politik rettet und eigene Grundrechte beschneidet, dann ist man Gefangener in einem Zusammenspiel von islamistischen Terroristen, von Breivik inspirierten Amokläufern und Rechtspopulisten. Man wird passiv und überlässt das Handlungsfeld jenen, die einen in diese Passivität getrieben haben. Einsätze der Bundeswehr im Inneren werden gefordert. Flächendeckende Überwachung. Dinge, die das Leben in diesem Land sehr stark und nachhaltig verändern können – ohne effektive Maßnahmen zum Schutz vor solcher Gewalt zu sein.
Die Forderungen nach Bundeswehr im Inneren, mehr Überwachung, Schließung der Grenzen, Ausweisung von Ausländern, mehr Kontrollen von Muslimen etc. mögen sich auf den ersten Blick manchen vielleicht aufdrängen. Aber es sind Forderungen, die unsere eigenen Rechte und Freiheiten beschneiden. Etwas, das das Leben in diesem Land für mich immer sehr lebenswert gemacht hat und das ich verlieren würde. Und DAS ist das Ziel von Terroristen. Nicht „nur“ die Toten. Nur damit wir uns nicht missverstehen – ich hätte gern, dass wir nur den Tätern das Leben schwer machen könnten. Aber das können wir nicht.
Die Gewalt, die wir in speziell in Deutschland in den jüngsten Tagen gesehen haben, hatte unterschiedliche Ursachen und passiert so in anderen Teilen der Welt schon länger. Und autoritär geführte Länder mit wenig Freiheitsrechten, starker Überwachung und Repression zeichnen sich nicht gerade durch ein geringeres Maß von Gewalt aus. Die Täter bleiben. Aber allen anderen geht es schlechter. Das meinte ich mit „Angst macht die Welt schlimmer“. Mit härterer Law-and-Order-Politik ist den verschiedenen Ursachen von Gewalt gegen Menschen nicht zu begegnen, dies ist meine feste Überzeugung.
Doch mit anderen Mitteln ist ihnen zu begegnen. Mit besserer psychotherapeutischer Versorgung. Mit Aufklärung zum IS und zu Islamismus bei jungen Menschen. Mit besseren Bildungschancen für alle. Mit einer besonnenen Außenpolitik, die keine repressiven Regime stützt und (Bürger-)Kriege zu verhindern sucht. Mit Demokratisierung der Bildung. Mit sozialen Strukturen, die jene besser auffangen, die sich überholt fühlen.
An einem dieser Aspekte arbeite ich seit einigen Jahren und werde auch in Zukunft daran arbeiten. Das ist mein Versuch, meinen kleinen produktiven Teil hinzuzufügen. Aber all das ist nun mal nicht zu tun, wenn ein Klima der Angst lähmt. Es ist ein entwicklungsverhinderndes Gefühl, wenn man sich ihm hingibt und sich gegenseitig darin hochschraubt, bis es zur Panik wird.
Und das war eigentlich alles, was mit dem Tweet gemeint ist. Er ist also ungenau. Er meint nicht: „Empfindet keine Angst“. Sondern: „Lasst euch nicht von ihr lähmen. Schenkt die Zukunft nicht denen, die sie auslösen.“
Und ich weiß auch, dass der langsame Ausbau von Bildungswegen und therapeutischen Möglichkeiten kein unmittelbares Sicherheitsgefühl erzeugt. Auch ich fühlte mich angesichts der Ereignisse manchmal unfähig, meine Arbeit zu machen, weil sie so lange dauert und sich manchmal wie ein Tropfen auf den heißen Stein anfühlt. In diesen Momenten möchte ich verzagen. Aber das wäre falsch. Der Tweet war also auch an mich selbst gerichtet.
Ich habe vielleicht Angst, aber das ist nebensächlich. Die Hauptsache für mich ist: ich möchte keine Angst haben. Denn ich möchte diese Dinge verhindern. Mit sinnvollen, langfristigen Maßnahmen. Und dennoch wird es Gewalt geben. Aber je besser die Strukturen sind, die Menschen vor einer Radikalisierung bereits unterstützen können, desto weniger wird es geben. Ich möchte den Opfern von Amokläufen und Terror gar nichts ins Gesicht sagen. Ich möchte, dass es sie nicht gibt.
Ich möchte den Opfern von Amokläufen und Terror gar nichts ins Gesicht sagen. Ich möchte, dass es sie nicht gibt.
es ist ein so schoenes statement, zwar ganz am ende, aber einen besseren abschluss haettst du nicht finden koennen. ich haette nur ein semikolon vorgeschlagen .. Ich möchte den Opfern von Amokläufen und Terror gar nichts ins Gesicht sagen; ich möchte, dass es sie nicht gibt. tweete das. dann gibt es auch nicht die gesetzesausleger, die meinen, tweets waeren gesetze, die eindeutig, ausgeglichen, allverstaendlich und „ganz knapp“ eine situation umschreiben. Der tweet ist die kurzfassung einer meinung, die im langtext so ausschaut wie dein blogpost, und wenn man den tweet auch anders verstehen kann oder koennte oder er nicht vollstandig alles erfasst, bitte scher dich nicht darum, dafuer sind tweets nicht gemacht.
frank for marina.
ich hab dich ueber rivva gefunden, und nehme deine posts auf meine Leseliste. Sie sind es vollumfaneglich wert gelesen zu werden.
Hallo Marina, Danke für Deinen blogpost!
Wir sollten unterscheiden zwischen unseren individuellen Ängsten, die bei mir ungefähr an der Nulllinie liegen was Bedrohung durch Terror angeht, und das änderte sich auch nicht wenn ich in Tel Aviv am ZOB stehe, und den kollektiven Ängsten, die, siehe München, schon hochkochen können insbesondere z.B. auch am Stachus, wo es nur Gerüchte über Menschen mit Pistolen gab via social media, und deshalb Menschen in Panik losrannten und sich verletzten.
Natürlich sind kollektive Ängste zunächst die Summe von individuellen Ängsten, können aber in der Gruppe oder Masse in Hysterie umschlagen, der sich dann auch Menschen wie ich nicht mehr entziehen können, wenn das Ding eskaliert. Man wird dann schlicht mitgerissen.
Die gleiche Gefahr besteht im Netz und in der Politik: Wenn genügend andere beständig trommeln „Terror, Terrorgefahr, schon wieder 1 Anschlag, bestimmt mit xyz Hintergrund“, dann reißt das zunächst Unbeteiligte zunehmend mit. Auf social media wie twitter, fb & Co. wird das durch die policy der jeweiligen Unternehmen und deren Algorithmen verstärkt, wer auf „Terror“, IS“ oder andere buzzwords reagiert, bekommt genau die damit kontexsensitiv verknüpften Meldungen und tweets nach oben gespült und glaubt sich bald in einer Welt aus Bedrohung und unmittelbarer Gefahr. Wenn dazu noch Aktionen wie bei FB kommen „Ich bin safe“, wird allein dadurch, dass sich Teilnehmer NICHT melden weil sie z.B. grade auf dem Klo, oder offline sind, Panik und Angst geschürt. Und natürlich der traffic auf fb erhöht, was das Ziel der Betreiber ist. Denen ist nämlich egal, ob User aus Angst oder aus Spaß immer mehr klicken und damit das Öl des 21. Jahrhunderts für fb (die Informationen) generieren.
Politik nutzt gerne solche Situationen der Angst und Verunsicherung aus, um wahlweise rechtspopulistisches Gewäsch abzusetzen (das ist schäbig), oder um sicherheitspolitisch die Zügel anzuziehen bis hin zur Forderung von BW-Einsätze im Inland (das ist leider auch schäbig).
Und hier deckt sich meine Sorge mit Deiner: Ich möchte diese Dinge verhindern. Denn Politik muss sich von Vernunft leiten lassen und nicht von Emotion. Emotion kann helfen „aus dem Quark“ zu kommen, also aktiv zu werden. Aber dann müssen die abgeleiteten Maßnahmen nicht diesen Emotionen, sondern vernünftigen Überlegungen folgen.
Einsatz der BW im Inneren ist aus sehr guten und historischen Gründen generell verboten, und darf nur als Nothilfe, z.B. in der Bereitstellung von technischer ziviler Unterstützung (Notkrankenhaus, Löschwasserpumpen, Transportflugzeuge, Signaltechnik etc.) erfolgen. Dabei muss es bleiben, der Grundsatz der strikten Trennung von Polizei und Militär ist eine hohe Errungenschaft unseres zivilisierten, friedlichen Landes.
Zu unterscheiden ist zudem zwischen Amoklauf und Terror. Den Amokläufer treibt Selbsthass, dessen Energie er nach aussen kehrt. Er will seinen Hass ausagieren. Den Terroristen treibt eine Mission, der er sein Leben unterordnet, er wird also vor der Tat irgendwo „geworben“, dann „geprägt“, und schließlich – oft nach jahrelanger Inaktivität – „befohlen“.
Letzteres kann präventiv durch z.B. polizeiliche oder geheimdienstliche Aufklärungsarbeit bekämpft werden, um den/die Täter vor der Tat aufzuhalten.
Ersteres kann eher durch restriktive Verfügbarkeit von letalen Waffen oder Sprengstoff verhindert werden, da selbsthassgetriebene Einzeltäter anders als Terroristen vor allem ein Beschaffungsproblem haben, dass sie überwinden müssen (sie müssen an Waffen, Munition und Sprengstoff erst mal herankommen). Da es hierzulande recht schwer ist an Waffen, Sprengstoff und Munition zu kommen, sind Tote und Verletzte durch solche Taten hierzulande weit seltener als z.B. Tote im Straßenverkehr.
Politische Energie müsste also, wenn rational motiviert, eher auf die Sicherheit im Straßenverkehr als auf beispielsweise noch schärfere Waffengesetze gerichtet sein.
Beide Tätergruppen hält man zudem mit polizeilichen vor-Ort-Maßnahmen an potentiellen Tatorten kaum auf, dazu sind die potenziellen Tatorte zu dispers („tout le monde“, überall, wo sich Menschen aufhalten). Es sei denn, man zieht den totale Überwachungsstaat á la DDR inclusive Mauer und Stasi hoch, dort gab es nahezu keine solche Anschläge, aber so will vermutlich niemand von uns leben.
Der Rest der erforderlichen Maßnahmen ist langfristiger Natur: besser Bildung, auch Aus- und Herzensbildung, Kinder- und Jugendpsychologen die sich um junge Menschen kümmern die sich mit Selbsthass herumquälen, und ihnen Auswege aufzeigen um mehr Selbstachtung und damit auch mehr Fremdachtung für andere empfinden können.
Für Zuwanderer, insbesondere aus Kriegs- und Bürgerkriegsgegenden gilt: Hilfe und Therapie den verrohten, traumatisierten und unter PTB leidenden Menschen anbieten, denn insbesondere junge Männer aus diesen Regionen sind gefährdet, wahlweise selbst auszuflippen oder von interessierten Gruppen angesprochen und benutzt zu werden, um den „Kampf“ in Europa fortzusetzen.
Außenpolitisch ist konsequent die Politik der Deeskalation, der internationalen Zusammenarbeit, des Miteinander Redens, des Verhandelns und der Diplomatie zu wählen, auch (und gerade) wenn Regime in unserer Nachbarschaft undemokratisch sind oder in undemokratische Strukturen abzugleiten drohen. Solche Gespräche müssen auf Augenhöhe erfolgen, ohne Säbelrasseln oder Überheblichkeitsgesten.
Die Gleichung „mehr autoritäre Herrschaft, mehr Überwachung und mehr Sicherheitskräfte= weniger Terror und Gewalt“ ist sehr falsch, da bin ich auch bei Dir, ein Blick in die Türkei, in den Irak, nach Saudi-Arabien und nach Afghanistan genügt. Den Ursachen entgegenzuwirken, freundlich und friedlich, ist der einzige Weg. Er kann scheitern, er ist aber, wenn man nachhaltigen Erfolg haben will, alternativlos.
Ich finde ihren Ansatz sehr gut Es sollte ein Umdenken in den Köpfen der Menschen stattfinden. Nur, wie wollen sie das schaffen.
Gibt es genug Therapeuten für die vielen traumatisierten Menschen. Eigentlich sollte sehr schnell etwas passieren bevor die Verdrängung eintritt. Viele Menschen welche den 2. Weltkrieg erlebten sind heute noch nicht von ihrem Trauma befreit. Aber nicht nur das Thema Krieg beschäftigt viele . Schürende Ängste machen unsicher und lassen erstarren. Menschen sind verschieden und Aufklärung ist wichtig . Wer kann also helfen ? Ist die Frage. Ich bin der Meinung es gibt zu wenige Psychologen um einen Wandel inden Köpfen aller zu bewirken.
ZItat von Hering:
„Viele Menschen welche den 2. Weltkrieg erlebten sind heute noch nicht von ihrem Trauma befreit.“
Das war auch kaum möglich. Man kann schlecht eine ganze Nation behandeln. Die einen waren von der Front traumatisiert, die anderen von Bombardements. Und wer beides nicht mitbekam, litt unter dem Regime.
Mein Opa hat Stalingrad „überlebt“. Aber seelisch war er so tot wie die Mumie eines Pharaos.
Danke dafür. Genau das ist es. Angst haben, ja – aber sich nicht von der Angst beherrschen lassen. Ich weiß genug aus den Geschichtsbüchern, um zu sehen, wohin Angst führen kann. In den 30er Jahren des letzen Jahrhunderts waren es die Juden, vor denen die Menschen in Deutschland Angst hatten. Heute sind es Flüchtlinge. Und da liegt schon wieder ein Problem: Angst vor Terrorismus ist verständlich. Auch Angst vor dem Fremden liegt dem Menschen wohl irgendwie im Blut. Aber auch wenn unter den Flüchtlingen Terroristen sein mögen, so ist es doch total übertrieben, deshalb pauschal vor allen Flüchtlingen Angst zu haben. Ich hab ja auch nicht Angst vor jedem Deutschen, bloß weil der ein potenzieller Amokläufer, Kinderschänder oder sonstwas sein könnte. Und ich hab auch keine Angst davor, morgens in mein Auto zu steigen, obwohl der Straßenverkehr eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland darstellt. Vielleicht hab ich mal ein mulmiges Gefühl dabei, wenn in der Nachbarschaft vor Kurzem ein Unfall passiert ist… aber ich bleibe nicht zu Hause deshalb. Und damit sind wir wieder beim Artikel und den Handlungen. Wenn wir die von der Angst beeinflussen lassen, gehen wir zu weit.
Vielleicht fehlt uns nur etwas mehr Routine bzw. Erfahrung im Umgang mit der (Terror-) Angst. Man hat das Gefühl, dass nicht wenige wie aufgeschreckte Eilegetiere (innerlich) panisch im Kreis laufen, verstärkt durch die üblichen Übertreibungen, wie sie halt so via Medien daherkommen zu pflegen. Da lob ich mir etwas die britische „Gelassenheit“, wie ich sie zu IRA-Zeiten wahrnahm. Diese „stiff lips“, die sich angesichts von Terror ihre Verletzlichkeit nicht versuchten anmerken zu lassen, spielen dem Terror vermutlich nicht in die Hände – zumindest nicht so, wie offen zur Schau gestellte Panik. Es hat was von einem solidarisch coolen „fuck you“ gegenüber dem Terror.
Ich weiß nicht, ob du nicht die Wirkung der Angst unterschätzt, wenn du sagst, dass man Angst haben kann, aber sich nicht von ihr leiten lassen soll. Das wirkt so, als wenn man jemandem sagt „Du hast Höhenangst? Davon darfst du dich nicht leiten lassen! Du kommst jetzt trotzdem mit in den Heißluftballon!“. Das bringt jemanden, der Angst hat, ja nicht weiter wenn man nur sagt, dass er sie ignorieren soll oder sich zumindest nicht nach ihr richten soll. Natürlich hast du Recht, wenn du sagst, dass das ja das Ziel der Terroristen ist. Aber jemand der Angst hat, lässt sich ja nicht dadurch überzeugen, sie einfach zu ignorieren. Wenn man Angst hat, ist man ja nicht empfänglich für diese vermeintlich rationalen Ratschläge. Auch deshalb sind diese häufigen „Ja, aber im Haushalt zu sterben ist viel wahrscheinlicher als beim Terroranschlag“-Vergleiche z.B. auf Twitter auch so unnötig.
Außerdem glaube Ich, dass du Recht hast, bei dem was du (in dem leider sehr kurzen Teil) zur Rolle der z.B. Zeitungen dabei sagst. Ich glaube aber, dass sie der Hauptauslöser für diese Angst sind. Kaum jemand würde Angst bekommen, wenn man alle Terroranschläge (egal wo sie sind) in Kurzmeldungen wegmeldet und nicht weiter diskutiert mit seitenlangen Tatabläufen, Hintergründen usw.. In der Lebensrealität der meisten Leute kommen die Terroranschläge ja nur vor, weil durch den ARD-Brennpunkt der Tatort später losgeht oder weil jede Nachrichtensendung damit voll ist. Wenn man dann in den Tagesthemen 10 min. Terrorberichterstattung über einen Anschlag in Europa läuft, aber pro Sendung mindestens ein Anschlag in Syrien oder Afghanistan in 30 Sekunden weggemeldet wird, ist ja klar, warum die Angst in Europa erst wächst, wenn hier auch wirklich Anschläge passieren, eben weil sie auch dann erst wirkliches Medienthema werden.
Dabei müssten sich ARD&co. ja nicht ausschließlich mit Terror befassen, vor allem wenn meistens die bekannten Infos alle 15 min. wiederholt werden, weil noch nichts anderes bekannt ist. Der „Terrorexperte“ Elmar Thevessen hat dazu z.B. im Heute-Journal vom 26.07. gesagt, das müsse man so machen, weil die klassischen Medien ja sonst weiter an Vertrauen verlieren, weil Terroranschläge ja durch soziale Medien & co. trotzdem bekannt werden würden. Es geht ja darum dafür zu sorgen, dass die Tat ansich (nicht die Trauer um die Opfer) durch Medien nicht noch hochgepusht wird und dann tagelang Hauptthema bleibt. Das sorgt ja erst für die Angst und ist vielleicht ein wichtigerer Diskussionspunkt, als das „Ignorieren der Angst“.
Dieses „Ignorieren der Angst“ erinnert mich einfach zu sehr daran, was Eltern einem kleinen Kind sagen, das gemobbt wird: „Ignorier den einfach, dann hört der auch damit auf.“. Also so wie: „Ignorier den Terror einfach, dann hört er auch auf“. Dabei weiß jeder, der mal so ein kleines Kind gesehen hat, dass es meistens kurzfristig nicht weiterhilft, es einfach zu ignorieren. Langfristig ist es natürlich die einzige sinnvolle Möglichkeit, aber das beruhigt kurzfristig niemanden, vor allem wenn Terror das Haupt-Diskussionsthema bleibt und alle nur sagen „Die Regierung muss da mal endlich was tun!!“.
Die Leute, die das sagen fühlen sich nicht durch z.B. mehr Aufklärung zum IS und mehr psychotherapeutischer Hilfe usw. besänftigt, weil es kein unmittelbares Sicherheitsgefühl gibt, wie du ja auch sagst. Dazu muss erst die Angst irgendwie genommen werden, bevor man mit dem Ignorieren anfängt. Damit meine Ich natürlich nicht, z.B. die Überwachungsmaßnahmen auszuweiten, weil es wirklich nichts bringt. Keinem Verletzten bei einem Selbstmordanschlag bringt es etwas, wenn man die Kommunikationsdaten des vermutlich toten Täters hat und auswerten kann, oder wenn in der U-Bahn Station, in der jemand sich in die Luft gesprengt hat, eine Kamera gehangen hat. Genauso richtig ist natürlich, wie du sagst, dass die größten Überwachungsstaaten auch die meisten Anschläge verzeichnen.
Deshalb weiß ich auch nicht, wie man dieses Angst-Gefühl kurzfristig besänftigen könnte. Ich weiß gar nicht, ob es dafür überhaupt eine Lösung gibt oder geben kann.
Sehr guter Artikel. Du sprichst mir wirklich aus der Seele. Gleichzeitig ist es doch im Alltag sehr schwer anderen Menschen beizubringen, dass die einfachen Lösungen, die Rassismus, Überwachung und Co versprechen, keine Besserung, sondern eine Verschlechterung darstellen und eine Besserung nur durch mutiges und progressives Denken und Handeln entstehen kann.
Ja, natürlich habe ich das. Und ich habe mich angesprochen gefühlt. Als Bürger. Und ich empfinde den gemeinen Bürger als falschen Adressaten dieses Artikels. Ganz speziell war es dieser Satz, der mich zum Kommentieren animierte: „…Die Gewalt, die wir in speziell in Deutschland in den jüngsten Tagen gesehen haben, hatte unterschiedliche Ursachen und passiert so in anderen Teilen der Welt schon länger. …“.
Nur weil das woanders schon länger passiert, muss ich das ja jetzt hier nicht hinnehmen.
Wenn für fünf aufeinanderfolgende Anschläge, als Flüchtling eingereiste „Syrer“ als Täter identifiziert werden, brauche ich mich nicht wundern, wenn dies zu Rassismus und Repression führt. Wir brauchen uns nicht darüber unterhalten, ob das richtig oder falsch ist. Ich denke, da liegen wir auf einer Wellenlänge. Aber ich halte es für Fakt, was man auch deutlich am Erstarken von (rechts-)populistischen Parteien beobachten kann. Von daher halte ich es irgendwie für sinnvoller, die Politik „gerade zu rücken“, anstatt die Bürger zu „beruhigen“.
Vielleicht war mein erster Beitrag etwas schroff, es sollte kein persönlicher Angriff sein! Auch wenn wir politisch gesehen nicht in allen Angelegenheiten auf einer Linie sind, weiß ich Ihre Arbeit und Ihr Engagement durchaus zu achten.
Der Mensch macht sich seine Reaktionen auf seine Emotionen selbst. Wenn als Reaktion ‚rassismus‘ auf ’syrer‘ aufkeimt, ist das meinetwegen menschlich allzu menschlich. Unterstellt, das sei die Absicht der als Beispiel angeführten syrer gewesen, dann hat die falle bereits zugeschnappt. War es nicht die Absicht, ist es eine fatale Entwicklung, für die syrer dann aber nicht zur Verantwortung ziehbar sind…
Ich sehe da durchaus eine Wahl…
Haben Sie diesen Artikel als Psychologin oder als Politikerin verfasst? Muss ich mir wirklich sagen lassen, ich möge mit meiner Angst gefälligst klar kommen, weil die Zeiten nun mal so sind? Weil in anderen Ländern diese Ängste vor Terror schon viel länger existieren, muss ich damit jetzt auch leben? Gilt es in der Psychologie nicht, den Grund für Angst zu finden und, sofern möglich, abzustellen?
Ich soll diese Zeiten jetzt einfach hinnehmen, weil wir durch Globalisierung nicht auf die Ausbeutung ärmerer Länder verzichten können? Weil wir noch immer Technik und Kriegsmaterial in Länder liefern, die westliche Werte komplett ablehnen? Weil wir Koalitionen mit Ländern anstreben, in denen Gewalt und Tod zum Alltag gehört? Weil Amtsträger keinen Unterschied mehr zwischen Politik und Wirtschaft kennen? Deshalb muss ich jetzt lernen mit Ängsten umzugehen, die es ohne einiger fataler Fehlentscheidungen der Politik gar nicht gegeben hätte?
Haben Sie den Rest des Artikels gelesen? Den Teil mit Handeln? Den Teil mit der Außenpolitik? Alle anderen Teile?
> Haben Sie den Rest des Artikels gelesen?
hey, wo kommen wir denn da hin, wenn wir erwarten, daß diese klientel, die eben auch kritisches zu deinen tweets glaubt in die welt setzen zu müssen, ohne ihn verstanden zu haben, irgendetwas nicht nur liest, sondern sich auch die zeit nimmt, darüber nach zu denken.
und deshalb, liebe marina, gibt es im grunde keinen anlass, diesen idioten auf den leim zu gehen und ihnen etwas zu geben, was sie als eine art rechtfertigung von deiner seite mißverstehen werden. es ist zeitverschwendung.
ich habe keine angst. ich werde gerade 60 und verdammt – ich habe schon zeiten überstanden, in denen man damit lesen musste, daß die entscheidungszeit von männern in bunkern dreieinhalb minuten dauerte … die einen von der vernichtung der welt trennten. und jetzt lebe ich in zeiten, in denen die gewalt, die „wir“ in den letzten jahrzehnten (-hunderten?) in die welt exportiert haben, zu uns zurück kehrt.
gehe ich trotzdem vor die tür? aber ja doch. das risiko von einem gerade am handy herumfuchtelnden autofaher überfahren zu werden oder von einem blitz erschlagen zu werden, ist definitriv höher.
und wenn ich mich ganz elend fühle, dann höre ich einfach martina schulte zu, die die frage Ist 2016 wirklich so schlimm? sehr klug beantwortet hat 😉