Wenn ich die Überschrift so schreibe, klingt sie nach einem guten Titel für einen Horrorfilm.
Aber in Wirklichkeit will ich einfach aus der fantastischen Welt dessen berichten, was ich studiere.
Wir sind uns irgendwo alle einer eigenen Persönlichkeit und einer eigenen Willenskraft bewusst. Wenn wir Handlungen vollführen, Entscheidungen treffen, ja nur eine Bewegung tun, scheint uns unser Organismus, Geist mit Körper, einheitlich.
Physiologisch sieht die Sache anders aus und wir fragen uns: Was zur Hölle ist eigentlich unsere Persönlichkeit und zu wie weit sind wir nur Maschine?
Ich schneide dieses Thema auf Ebene eines interessanten Gedankens an: Was ist, wenn man unsere beiden Hirnhälften in der Mitte trennt? Das ist nicht unrealistisch und wird bei Epilepsie-Patienten gemacht, um ein Übergreifen der Krankheit von einer auf die andere Hemisphäre zu verhindern. Dabei wird das Corpus callosum durchtrennt, also grob gesagt die Nervenverbindung zwischen den Hemisphären. Damit steht jede Gehirnhälfte auf eigenen Beinen, es findet kein Austausch mehr statt. Interessant ist: Nach nur einigen Monaten nach der Operation zeigen die Patienten keinerlei äußerliche Auffälligkeiten. Sie haben keine Behinderung, noch eine Einschränkung. Nur experimentell kann das Hindernis sichtbar gemacht werden:
Die Versuchsperson sieht in der linken Gesichtshälfte, die mit der rechten Hemisphäre korrespondiert, einen Schlüssel. Mit der linken Hand, die von dieser Hemisphäre gesteuert wird, kann sie einen Schlüssel greifen. Sie kann aber nicht benennen, was sie da gegeriffen hat, weil das Sprachzentrum in der linken Hemisphäre lokalisiert ist.
Andersherum ist es genauso: Die Person kann das Wort Ring lesen und sprachlich wiedergeben. Die linke Hand der Person könnte aber nicht nach einem Ring greifen, weil die von der rechten Hemisphäre kontrolliert wird, die garnichts von einem „Ring“ weiß. Diese beiden Prozesse können übrigens gleichzeitig ablaufen, ohne dass sie einander stören. Diese Person ist plötzlich fähig, zweifache Aufmerksamkeit aufzubringen.
Die Einheit des Körpers ist nur Täuschung. Der Patient hat gelernt, seine kontralaterale Körperseite einzuschätzen und auf sie einzugehen. Aber er besitzt zwei getrennte Willen! In den Tagen und Wochen direkt nach der Operation ist es deutlich. Die Bewegungen sind unkoordiniert, oft kann die rechte Hand die linke nur kontrollieren, indem sie sie festhält. Die linke Hand und insgesamt die linke Körperhälfte werden oft als fremd empfunden und unmöglich kann der Patient benennen, was seine linke Körperhälfte tut (weil sie ja von der rechten Hemisphäre gesteuert wird, während das Sprachzentrum in der linken ist).
An dieser Stelle stellt sich eine tief philosophische Frage nach dem Bewusstsein. Im Lexikon der Neurowissenschaften sind zu dieser Frage folgende Thesen angegeben:
1) Das Bewußtsein ist bei Split-Brain-Patienten nicht geteilt, weil die Hemisphäre ohne Sprachfähigkeit (in der Regel die rechte) nicht bewußt ist.
2) Das Bewußtsein wird nur unter den experimentellen Randbedingungen geteilt, ist aber im Alltagsleben eine Einheit.
3) Das Bewußtsein wird die ganze Zeit geteilt.
4) Das Bewußtsein ist geteilt, aber nur in einer Weise, die deutlich macht, daß auch unter normalen Bedingungen ständig zwei Bewußtseine in einem Kopf lokalisiert sind.
5) Keine dieser Interpretationen paßt zu den Tatsachen, und deshalb müssen wir unsere Annahme aufgeben, daß eine scharfe Trennung zwischen einem Bewußtseinsstrom und zweien getroffen werden kann.
Es ist kaum möglich, hier wissenschaftlich eine Antwort zu finden und eine der Thesen auszuwählen.
Ich persönlich bin, da ich das Gehirn die letzten Monate sehr intensiv studieren musste, inzwischen zu einem maschinenhaften Bild unserer Funktionsweise gekommen. Bewusstsein ist ein Neuronensturm im Gehirn. Liebe, Angst, Philosophie, Gott, Kunst, Faulheit und Vorfreude auch.
Aber: Was soll’s. Ich bin okay damit und glücklich, und wenn das strominduziert ist, ist Strom was Gutes.
So. Lasst euch nicht von der Wissenschaft verstören.
Apropos Hirn als Rechenautomat.
Wenn das Hirn nur so ein Automat ist, dann hätte ich gerne mal etwas zu folgendem Erlebnis gewusst.
Also, ich habe eine Tochter Baujahr 77. Die Mutter und Ich waren damals noch sehr jung, nach 4 1/2 Jahren ging das ganze mit Pauken und Trompeten in die Brüche. Ich verlor jeden Kontakt zu meiner Tochter.
1993, ich stehe in einem großen Kaufhaus an der Kasse, will einen Kamm bezahlen und krame in meiner Brieftasche nach passen dem Geld. Gebe einen Teil des Geldes dem Verkäufer und muss dabei wohl durch den Laden aufgeblickt haben. Plötzlich scheint die Zeit still zu stehen. Alle Leute im Laden stehen regungslos, als hätte jemand meinen Film angehalten, und ich „sehe“ (ist das falsche Wort aber ich habe kein anderes dafür) zwei Augen durch den Laden hinweg, ca. 50 Meter. Eigentlich nur zwei Punkte wie durch Nebel oder so.
Ich weiss nicht wie lange es dauerte, ich hörte irgendwie ganz dumpf, wie aus weiter Ferne, den Verkäufer irgend eine Summe sagen, der Rest den ich noch zu zahlen hatte, schaute irgendwie durch diese Stimme geleitet wieder in meine Brieftasche und gab den Verlangten Betrag heraus. Es war alles wieder normal, in der Richtung dieser Erscheinung war nichts ungewöhnliches mehr zu sehen. Ich bin dann noch wie benommen durch den Laden getabbert und war völlig irritiert, „wusste aber“ ( wusste ist nun auch wieder nicht das richtige Wort aber dafür gibt es wohl keins) dass ich gerade meiner Tochter begegnet bin.
Zwei Tage später rief mich die Mutter an, nach über 12 Jahren, in denen wir einander weder sahen noch sprachen, und erzählte mir das unsere Tochter keine Ruhe mehr geben würde und sie nun gezwungen sein ich anzurufen, um zu fragen ob ich sie erkannt hätte in diesem Kaufhaus. Ich muss an dieser Steller ergänzen, dass die Tochter mit der Mutter gemeinsam in diesem Kaufhaus gewesen ist und ihr bestätigte das ich es sei. Die Mutter hatte sich aber zwischen zeitig derart verändert, dass ich sie bei einem späteren Treffen nicht mehr wiedererkannt hatte.
Da kommt man dann doch ins Grübeln, ob wir wirklich nur Automaten sind. Nicht dass Sie nun unbedingt mal ihren Vater kennen lernen wollte, das ist mir schon klar, was da der Grund gewesen ist, sondern diese sonderbare Begebenheit im Kaufhaus. Ich habe mir natürlich auch alle möglichen Ursachen überlegt. Gesichter sind ja wohl ein entwicklungsgeschichtlich sehr frühes Kommunikationsmittel und wenn sich das in so alten Hirnarealen abspielte, das würde auch die Trance-artige Wahrnehmung erklären. Aber das Gesicht einer 16 Jährigen aus der Erinnerung einer vierjährigen, zumal auf solch eine Entfernung und in Bruchteilen einer Sekunde zu erkennen, das kann ich mir nicht vorstellen. Wer weiss, vielleicht ist da doch mehr wie nur ein Automat in uns.
Ich messe jedenfalls diesen Geschichten von Müttern, die gespürt haben wollen, nein die Wussten, dass Ihren Söhnen (komisch, ich habe nie von Töchtern gehört) irgend etwas schlimmes zugestoßen ist. Ist es nun nur weil die sich in einer potenziell gefährlichen Situation befanden und die permanent vorherrschende Angst im Falle dass das Ereignis dann eintritt als vorher gewusst empfunden wird. Warum dann aber auch bei zufälligen Unglücken und oft von den Partnern durch ein merkwürdiges Verhalten der Mütter ab dem Zeitpunkt des Unglücks? Möglicherweise sind unsere Hirne schon so einer Art Quantencomputer, die miteinander verschränkt sind. Wenn sich dann das eine Ende festlegt, ist das andere auch determiniert in dieser Eigenschaft.
juergen
Vielen Dank für den interessanten und verständlichen(!) Bericht zu split brain Patienten!
Ich muss demnächst auch einen kurzen Vortag über >split brain< halten, und habe bisher im Internet noch nicht sehr gute Seiten dazu gefunden… deswegen hätte ich auch gleich mal eine Frage an dich: Wüsstest du vielleicht wie ich an brauchbare, digitale Informationen zu diesem Thema komme?
Es wäre wirklich sehr nett, wenn du mir da helfen könntest