Ich bin glücklich. Heute bin ich – ich schwöre, zufällig – über die aktuelle Ausgabe der „Bravo“ gestolpert. Auf dem Cover abgebildet: Rezo, Julien Bam, Greta Thunberg. Titel: „So setzt du dich durch – Richtig argumentieren und die besten Konter gegen Erwachsenen-Sprüche.“ Oben in der Ecke der Hinweis: „Kann Spuren von Politik enthalten“.
Der Unterschied dieser Bravo-Ausgabe zu denen meiner Jugend entspricht etwa dem Unterschied zwischen meiner Klassenstufe und den Schüler*Innen, mit denen ich heute arbeite. Die junge Generation ist politisiert, verantwortungsbewusst, umsichtiger, als wir es vor fünfzehn Jahren waren.
Die neuen politischen Ikonen
Glücklich bin ich, weil ich bemerke, wie auch die Medienlandschaft für Jugendliche das zaghaft abbildet. Dass nicht nur politisch enorm engagierte Menschen wie Jan Böhmermann sich heute zu Jugendidolen entwickeln, sondern dass auch sehr klassische Formate wie die „Bravo“ die neuen politischen Ikonen aufnehmen und nicht nur nach ihrem Privatleben fragen, sondern tatsächlich auf ihre Anliegen eingehen.
Mit ein wenig redaktionellem Geschick könnte die „Bravo“ sich zu einem deutschen Äquivalent der „Teen Vogue“ entwickeln. Vor allem seit Antritt der einer neuen Chefredakteurin in 2016 glänzt diese Teenie-Zeitschrift regelmäßig mit tiefen politischen Reportagen und Meinungsartikeln, die gern auch von Erwachsenen in etablierten Medien zitiert werden.
Sie haben Überschriften wie „Die Aufhebung von Obamacare könnte einen Verlust der Krankenversicherung für 18 Millionen Menschen bedeuten.“ Und die werden interessiert gelesen. Von Teenagern.
Nicht nur Musik, Klamotten und Sex
Es war ein Gewohnheitsfehler, zu monieren, dass junge Menschen sie politisch nicht interessieren und deshalb auch Inhalte zu produzieren, die sich eher um Musik, Klamotten, Sex etc. drehen. Und: Musik und Sex sind und bleiben wichtige Themen. Aber zu lange wurde vernachlässigt, dass Jugendliche heute viel mehr Zugang haben zu Informationen aus der Welt und dass die Probleme, die von der Politik im Moment mit erzeugt werden, sie unmittelbar betreffen.
Politik zieht sich im Moment wie ein Thema durch die Jugendkultur. Schon seit den Protesten um die Urheberrechtsreform im März, verstärkt seit dem Rezo-Video, das von 70 Youtuber*Innen unterstützt wurde.
Nach der Veröffentlichung seines viel diskutierten Videos war Youtuber Rezo Gast bei Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royal“ (ZDF/ Julia Hüttner)
Die Sex-Youtuberin Katja Krasavice hat zum Beispiel ein Video produziert, in dem sie vorstellt, mit welchen Politiker*Innen sie schlafen würde. Die Autorin dieser Kolumne wurde ebenfalls genannt, lehnt einen Dreier mit Philipp Amthor aber kategorisch ab. Katja gibt selbst zu, dass sie sich vorher nie mit Politik beschäftigt hat und sich dem deshalb aus ihrer ganz eigenen Perspektive nähert. Aber: Sie sorgt dafür, dass man Namen und Gesichter der bekanntesten Politiker*Innen Deutschlands schon mal gesehen hat.
Die neuen Themen: Klima, Digitales und Chancengleichheit
Das Ganze ist aber freilich mehr als eine Mode. Die Politisierung der jungen Generation passiert aus Notwendigkeit. Immer gravierendere Probleme bedrohen die Zukunft der Gesellschaft, wie wir sie kennen. In erster Linie die Klimakatastrophe, aber auch der Beginn des Informationszeitalters, auf das das Bildungssystem völlig unvorbereitet ist, sowie die Abnahme von Chancengleichheit für die kommende Erwachsenengeneration.
Die hauptamtliche Politik scheint auf diese Phänomene weitestgehend unvorbereitet zu sein oder läuft mächtigen Lobbygruppen hinterher. Meine Prognose ist deshalb, dass wir es hier nicht mit einem Sommertrend zu tun haben, in dem argumentieren mal cool ist. Die junge Minderheit dieses Landes sucht und findet langsam ihre politische Stimme. Wenn wir eine einzige Hoffnung haben, dann ist es diese.
Source: Marina Weisband – Die zaghafte Politisierung klassischer Jugendmedien