Es ist frustrierend, nicht wahr? Erst wird in den USA ein selbstherrlicher, reicher, skandalanfälliger, notorischer Lügner zum Präsidenten gewählt. Dann wird in Großbritannien ein selbstherrlicher, reicher, skandalanfälliger, notorischer Lügner zum Premierminister gewählt.
Auch in anderen Ländern, in denen Populismus im Aufschwung ist, begegnen uns immer mehr solche Figuren. Mit der Prävalenz von Smartphones und dem Internet kommen immer mehr ihrer Skandale ans Licht. Immer mehr Lügen. All das erfahren mehr Menschen, als je zuvor.
Kaum Konsequenzen bei Verfehlungen
Und doch scheint das diese Personen völlig unangetastet zu lassen. So viel Aufregung und Empörung sie in der einen Woche erzeugen, scheinen sie gegen Konsequenzen daraus völlig immun zu sein und können in der nächsten Woche etwas Neues draufsetzen.
Wie kommt es eigentlich, dass politische Verfehlungen so konsequenzlos scheinen? In der Vergangenheit mussten Politiker für weit Geringeres zurücktreten, als wir heute Woche um Woche in der internationalen Presse lesen. Heute passiert über reißerische Überschriften hinaus oft nicht viel.
Verunsicherung führt zu verhärterter Gruppenbildung
Ich sehe dafür zwei Gründe. Der Erste ist fortschreitender Tribalismus. Das bedeutet: In Zeiten des grundlegenden Wandels sind Menschen verunsichert. Statt darüber nachzudenken, wie sie in Zukunft leben wollen, finden Menschen größere Sicherheit darin, zur richtigen Mannschaft zu gehören. Alle Schwächen der eigenen Mannschaft werden zugunsten dieser Sicherheit ignoriert, während der Gegner dämonisiert wird.
Fakten und Quellen werden dabei gern so umgedeutet, dass sie in das eigene Weltbild passen. Denn wo der Mensch unsicher ist, handelt er nicht mehr rational. Jeder, der in Deutschland mal mit AfD-Anhängern diskutiert hat, kennt diesen Effekt.
Politik als Telenovela
Der zweite Grund ist gruseliger. Meine These ist, dass diese Politiker nicht für Lügen, sexuelle Übergriffe, Selbstbereicherung oder Betrug belangt werden, weil sie unterhaltsam sind. Die Medien mögen diese Menschen, weil es immer etwas Spannendes über sie zu berichten gibt. Etwas, das Zuschauer und Klicks zieht. Und die Wähler mögen diese Menschen, weil sie Politik als Telenovela konsumieren können. Mit Spannungsbögen, den Guten, den Bösen – alles, was eine Fernsehserie wie „House of Cards“ braucht.
Der Effekt ist nicht ganz neu. Walter Winchell, ein amerikanischer Gossip-Kolumnist im Radio der 1930er, war der erste, der Gossip und Politik regelmäßig mischte und damit eine riesige Instanz wurde. Seitdem wurde in den USA über Wahlen wie über Pferderennen berichtet. Donald Trump ist sozusagen die logische Konsequenz der Vermischung von Politikberichterstattung und Unterhaltung.
Symbiose zwischen Politikern, Medienhäusern und Zuschauern
Für die Produktionshäuser geht sein Konzept auf. Sie bekommen mehr Zuschauer, die sonst nicht an Politik interessiert sind, während sie ihm dafür kostenlose Fernsehpräsenz während seines Wahlkampfs gegeben haben. Es erscheint wie eine natürliche Symbiose zwischen Politikern, die Aufmerksamkeit brauchen, Medienhäusern, die Zuschauer, Käufer und Klicks brauchen und Zuschauern, die unterhalten und von den Problemen der Welt selbst während der politischen Berichterstattung abgelenkt werden wollen.
Könnte dieser Mechanismus also auch nach Deutschland kommen? Bisher sehe ich ihn nicht, mit der Ausnahme, dass aufgrund der Steilheit ihrer Thesen die AfD – gemessen an ihrer Bedeutung – überdurchschnittlich häufig in Talkshows sitzt. Doch ich glaube, das liegt vor allem am Mangel einer Figur, die genug Charisma und Unterhaltungswert hat.
Sobald die ins Spiel kommt, könnten wir auch hier zunehmend in einen Diskurs rutschen, wo Skandale eher Unterhaltungswert als echte Konsequenzen haben. Und das wäre gefährlich. Brandgefährlich.
Source: Trump, Johnson und die Medien – Gefährliche Win-win-win-Situation