Der Tag ist gegenüber der Nacht nicht etwa grau. Er ist bunt und laut.

Selbst wenn wir meinen, ruhige Tage zu verleben, sind das immer die Zeiträume, in denen wir viel Neues lernen, in denen unser Gehirn viele neue Informationen bekommt, Eindrücke, Bilder, Gesichter, Emotionen, Gedanken…
Nachts, das ist eine andere Geschichte. Nachts verarbeiten wir diese Eindrücke. Nachts gibt es nichts, das uns stören könnte. Keine Geräusche rund herum. Kein Licht. Nachts werden wir allein mit uns selbst gelassen. Das ist die Zeit, um nachzudenken, über sich selbst, sein Leben und sein Ich zu reflektieren. Keine Ausreden. Keine Ablenkungen.

Das ist vielleicht, weshalb ich solche Angst davor habe. Ich leide an Noctophobie. Das geht bei mir seit vielen Jahren so: Jedes Mal, wenn es darum geht, gleich ins Bett zu müssen, bekomme ich Angst, manchmal Panik. Mein Herz schlägt schneller, ich beginne, nach Ausreden zu suchen. „Ich muss hier noch was fertig machen“, „Ich bin noch nicht müde“.

Es ist keine wirkliche Angst vor der Nacht selbst. Ich mache liebend gern Nächte durch, ich bin auch gern draußen unterwegs, mag die Besinnlichkeit des Nachthimmels. Es ist eher die Leere, die droht, wenn die Mitmenschen verkünden, langsam ins Bett zu müssen. Das ist der schlimmste Moment. Es ist ein Gefühl von „gleich bist du allein!“.

Und hier, wenn man im Bett liegt, und alle anderen natürlich schon schlafen, wenn du wirklich allein bist, beginnen die Gedanken im Raum wiederzuhallen. An den stillen, kalt und schwach beleuchteten Wänden beginnt das Nichts selbst Schemen zu erzeugen, die Stille macht sich hör- und greifbar, scheint am Ende wie eine undurchdringliche Wand und wird so laut, dass ich mir manchmal die Ohren zuhalten muss. Und das ist kein Sprachbild, dessen ich mich hier bediene.
Es begann bei mir, als ich mit 10 Jahren anfing, außerhalb von Zuhause bei einer Freundin zu übernachten. In fremden Zimmern konnte ich noch nie schlafen. Mir erschienen die feinen Gerüche, die andere Wohnungen ausmachen, die unidentifizierbaren Gegenstände im Dunkel immer als feindlich, als bedrohlich. Wenn ich das Licht anmache, ist es in Ordnung. Solange ich mich irgendwie beschäftigen kann.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal wirklich ganz ohne Licht abends friedlich eingeschlafen bin. Vor drei auch mit Licht kaum.
Seit zwei Monaten wohne ich mit meinem Freund zusammen, der inzwischen kaum eine Nacht genug Schlaf hatte. Ich halte ihn nicht wach, aber es ist fast unmöglich, im Bett neben einer ängstlichen Person friedlich einzuschlafen, besonders wenn ich heftige Schlaflosigkeit habe und ihn jedes Geräusch stört. Er reagiert darauf mit Verständnis, wenn er auch langsam etwas genervt ist. Ich kann es ihm nicht verübeln.

Genau so wie bei meiner Angst vor Insekten, weiß ich, dass diese Angst vollkommen irrational ist. Es ist kein greifbarer Gegenstand. Ich bin unruhig und weiß nicht warum, wenn ich sicherlich auch nicht darauf verzichtet habe, das, wie so viele andere, bestimmten Ereignissen meiner Kindheit zuzuschreiben. Aber das bringt nichts.
In der heutigen Psychologie geht man hier einfach verhaltenstherapeutisch heran. Obwohl es auch Alternativen wie Gruppentherapie oder medikamentöse Behandlung gibt, ist die Erfolgsrate in der psychotherapeutischen Behandlung von Angststörungen heute sehr hoch. Wäre ich nicht zwei Jahre in einer Therapie gewesen, wäre es für mich auch ein Ausweg.
Da die letzte hier aber nicht gegriffen hat, habe ich mich immer mehr daran gewöhnt, sodass es für mich wichtiger ist, andere Dinge in die Hand zu nehmen.
Das klingt seltsam. („Ich dachte, es würde sie so stören“). Tut es auch. Wir Menschen sind irrationale Wesen.
Vielleicht ist es wie die Angst vor einem großen Kind, das einen auf der Straße ärgert. Man hat so viel Angst davor, dass man sogar Angst davor hat, zur Mama zu laufen und das Problem irgendwie zu klären.

„Wir haben nichts zu fürchten, als die Furcht selbst“. Wenn man mich fragt, ist Angst das schlimmste Gefühl von allen. Sie ist häftiger als Trauer, hilfloser als Hass, unberechenbarer als jeder noch so starke Schmerz. Sie wird schnell körperlich. Und sie ist genauso ein Teil von uns, wie ein unliebsamer Verwandter auch zu der Familie gehört. (Nur dass wir hier keine Geschenke zu Weihnachten erwarten dürfen.)

Warum ich das schreibe? Es ist gerade kurz nach 8 Uhr morgens und ich wurde eben davon geweckt, dass ein Kerl sein Motorrad reparieren wollte, was ein lautes, ratterndes, schießendes Geräusch von sich gegeben hat, das bei mir in einer derartigen Panikattacke resultiert ist, dass ich selbst von der Macht dieses Gefühls überrascht war. Ich habe dazu unlängst eine Illustration angefertigt. (Siehe unten)

Außerdem habe ich nur keine 4 Stunden geschlafen und wollte noch jemanden damit ärgern.

Ich bin ein im Grunde meines Herzens böser Mensch.

Paranoia