Während unser Leben schneller wird, nimmt die allgemeine Aufmerksamkeitsspanne ab. Das ist politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich schlecht. Ausnahmsweise ist nicht nur das Internet Schuld und diese Warnung ist nicht konservativ.

Auch während ich diesen Artikel hier tippe, habe ich nebenbei drei Tabs offen, auf die ich hin und wieder umschalte. Erstens lese ich Nachrichten, zweitens habe ich eine Seite mit lustigen Bildern und drittens chatte ich mit einem Kumpel. Vielleicht ist es die räumliche Nähe (alles auf demselben Bildschirm), die mir weis macht, es sei gar nicht so schlimm, mal umzuschalten. Aber Tatsache ist: ich kann eben nicht mehr anders. Für mich, wie für viele andere meiner Generation, ist Multitasking zum normalen Stil geworden.

Ich bin ja normalerweise ein Mensch, der sehr über die Vorzüge und Chancen des Internets redet. Ich meine, wir haben hier mal eben eine Technik geschaffen, mit der wir den Raum überwunden haben. Zumindest kommunikativ. Ohne mich jetzt in die Einzelheiten zu vertiefen, hat das enormes Potential für unsere Gesellschaft. Aber wenn ich etwas lobpreise, muss ich auch objektiv auf die Gefahren schauen. Es gibt nun mal keine Lösungen, die nicht selbst neue Probleme generieren. Was ist also das Problem, das mit unglaublich schneller und flächendeckender Kommunikation und Information einher geht? Wir schalten sehr schnell um. Von Einem auf das Andere. Von Nachrichten auf Comics, von Freunden auf Kollegen, von Freizeit auf Arbeit und zurück. Es gibt nicht mehr so richtig getrennte Orte, an denen wir eine einzige Handlung vollziehen. Und es gibt so viel Interessantes, durch das man sich unterbrechen lassen kann! Das führt dazu, dass der Mensch es gewöhnt ist, seine Konzentration in kürzeren Zeiteinheiten umzuschalten. Und das verringert unsere Gewohnheit, uns länger auf etwas zu konzentrieren, sodass es uns zunehmend schwer fällt.

Böses Internet.

Obwohl, ehe es mal wieder das Internet war, sollten wir vielleicht noch einmal genauer hinschauen, was in den gewohnten Teilen unserer Gesellschaft passiert. Ich hatte zum Beispiel im letzten Jahr etwas mehr mit Medien zu tun. Mit diesen ganz alten, also Fernsehen, Radio und Zeitung. Wenn dort Beiträge geplant wurden, habe ich mich regelmäßig darüber beschwert, dass man so ein komplexes Thema wie Sozialpolitik zum Beispiel nicht in einem so kurzen Beitrag abhandeln kann.

„Ja, das wissen wir auch“, antwortete mir dann üblicherweise der Autor: „Aber im Fernsehen können Sie nichts Längeres bringen. Nach drei Minuten haben wir den Zuschauer verloren, dann schaltet der ab“. Machen Sie sich mal den Spaß und messen Sie die Länge von Beiträgen in den Nachrichten. Komplexe Inhalte werden in Sekunden erklärt. Unnötig zu sagen, dass das fast immer völlig unzureichend ist, und dass sich Experten regelmäßig die Fußnägel hochrollen, wenn sie einen Beitrag über ihr Fachgebiet im Fernsehen sehen.

Wenn wir uns die klassischen Medien ansehen, haben wir auch hier immer kürzere Artikel, größere Überschriften, mehr Bilder, schnellere Themenwechsel. Unsere gesamte populäre Medienlandschaft gleicht einer freiassoziativen Gedankenkette. Wir schreien sehr viel an der Oberfläche herum und gehen selten in die Tiefe. Für viele ist es sogar schon ungewöhnlich, ein Buch zu lesen und dreihundert Seiten lang bei einem Thema zu verweilen.

Das Resultat daraus ist, dass wir als Gesellschaft kaum noch in der Lage sind, über komplexe Themen zu diskutieren. Wir beobachten das in allen Bereichen, zum Beispiel in der Wirtschaft. Weil man daraus eben keinen zehnminütigen Beitrag drehen kann, werden wirtschaftliche Themen auch in den Nachrichten mit fast mystifizierenden Ausdrücken abgehandelt, ohne Einblick in das wirkliche Problem zu gewähren. Sonst müsste sich der Zuschauer auch viel zu viel merken. Bei allen Forderungen nach mehr Demokratie ist es aber höchst bedenklich, dass die breite Masse nicht mehr eine halbe Stunde bei demselben Thema verharren kann.

„Wir müssen eben darauf achten, dass die Leute mit der Aufmerksamkeit dabei bleiben. Da darf man nichts zu Langes machen“, sagte man mir auch beim ZDF.  Beim ZDF! Das ist öffentlich-rechtliches Fernsehen, das nicht einmal auf Einschaltquoten angewiesen ist! Medienmacher, ob nun neue oder klassische, richten sich nach einem ominösen Zuschauer und trauen ihm bestimmte Dinge zu und bestimmte nicht. Und dabei wird ein wichtiger Prozess ausgelassen: Nämlich dass Medienkonsum diesen selben Zuschauer ja auch formt.

Wenn ich mit wenig Aufmerksamkeitsspanne rechne und darum kurze Beiträge produziere, gewöhnt sich mein Leser daran, und seine Aufmerksamkeitsspanne sinkt. Es ist ein Teufelskreis.

Und Sie fragen jetzt: Aber was tun, oh aufgeregte Blogautorin? Es ist ja nun kein neues Problem!

Aus einem Teufelskreis kann man an mehreren Stellen aussteigen, und zwar dann am besten gleichzeitig. Auf Seite des Konsumenten kann man seine Aufmerksamkeitsspanne bewusst trainieren. Zum Beispiel, in dem man sich von einer Tätigkeit mal gezielt nicht ablenken lässt. Indem man mehr Bücher liest. Indem man lange Texte kurzen vorzieht. Nur ein Browserfenster parallel offen haben. Beim Essen mal nicht fernsehen, sondern nur essen. Oder nur fernsehen. Auf jeden Fall dem Wort „nebenbei“ eine kleinere Bedeutung im Leben zukommen lassen.

Von Seite der Medien zähle ich da vor allem auf die Öffentlich-Rechtlichen. Die könnten sich eigentlich mal mit etwas Chuzpe aus dem Diktat der schnelllebigen Konkurrenz hinausstehlen und wieder mehr Sendungen mit Anspruch produzieren. Wieder in die Tiefe gehen. Und einfach mal sehen, wie das ankommt. Schaden kann es kaum, aber vielleicht sehr viel retten.

Tatsächlich sind weder das Problem, noch die zaghaften Lösungsvorschläge neu. Ich komme mir selbst wie eine Konservative vor, wenn ich das schreibe. Die warnen schließlich seit Jahrzehnten vor einem Verfall der kognitiven Fähigkeiten zugunsten der schnellen Information. Aber ich bin eben nicht konservativ. Ich gehöre zu der Generation dieser ominösen „jungen Leute“, die alles gleichzeitig wollen und die ständige Angst kennen, irgendwas zu verpassen. Ich möchte selbst Vieles verändern, ich möchte einzelnen Menschen mehr Freiheit und mehr Verantwortung in die Hände legen, ich möchte sie informieren, ich möchte, dass alle Menschen über wichtige Gesetze mitentscheiden. Und gerade WEIL ich nicht will, dass alles beim Alten bleibt, möchte ich die Informationslandschaft qualitativ bereichern. Natürlich will ich, dass Menschen, die über Gesetze abstimmen, diese auch gelesen haben. Ich warne hier nicht vor einem Verfall der Zivilisation. Ich fordere gerade alle Veränderer, alle Progressiven auf, ihre Vision der Zukunft zu formulieren und die Bedingungen dafür zu schaffen. Und dazu gehört die schnelle Information genau so wie die Fähigkeit, als Gesellschaft über komplizierte Themen zu sprechen. Bisher erlebe ich, dass jeder meiner Freunde das Problem kennt und auch Witze darüber macht, aber wenig ernsthafte Bemühungen, es anzugehen. Und weil diese Frage von der politischen Richtung unabhängig ist, könnten wir sie mal auf einem ernsthafteren Level diskutieren, als bisher. Also wirklich die Einflussmöglichkeiten auf Rundfunkanstalten nutzen, uns überlegen, wie Schule auf so ein Problem reagieren muss, und vor allem verbalisieren und darauf aufmerksam machen. Und zwar ohne Weltuntergangsstimmung.

Wenn Sie diesen Text bis hierher gelesen haben, müssen Sie kein Stück stolz auf sich sein. Er war nur drei Seiten lang. Drei Seiten sind eigentlich nichts. Aber machen Sie sich nichts daraus und malen Sie nicht den Teufel an die Wand. Die Zukunft wird ganz großartig! Wenn wir nur sehenden Auges hingehen.