Dies ist die schriftliche Version meiner monatlichen Kolumne bei Deutschlandfunk @mediasres. Hier anhören.
Es wird endlich Zeit, mal etwas gegen Hate Speech und Fake News in sozialen Netzwerken zu tun! Mit diesem Ziel hat Bundesjustizminister Heiko Maas letzten Monat einen Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes vorgelegt, das wohl diese Woche verabschiedet werden soll. Dieses Gesetz ist einerseits ein schönes Anschauungsbeispiel für alles, was im Zusammenhang mit der Regulierung sozialer Netze schief läuft – andererseits auch selbst eine gefährliche Bedrohung des freien Internets.
Der Gesetzesentwurf lässt sich auf zwei wesentliche Bestandteile herunterbrechen. Der erste handelt davon, dass strafbare Inhalte von den Netzwerkbetreibern, zum Beispiel Facebook, innerhalb einer bestimmten Frist gelöscht werden müssen. Zu den umfassten strafbaren Aussagen gehören neben Strafbeständen, die tatsächlich unter Hassrede fallen würden, etwa auch Gewaltdarstellung und Pornografie. Die Liste der zu löschenden Inhalte wird in Zukunft vermutlich noch erweitert werden, denn sie ist als leichte Lösung einfach zu verlockend.
Facebook hätte 24 Stunden Zeit, offensichtlich strafbare Inhalte zu löschen und 7 Tage für alle strafbaren Inhalte. Diese Fristen sind viel kürzer, als irgendein Gericht solch eine Entscheidung treffen könnte. Dabei ist gerade die Frage, was noch Meinungsäußerung ist und was eine strafbare Beleidigung, sogar für Fachpersonal sehr schwer zu klären. Eigentlich müsste Facebook eine Armee von Juristen einstellen, die sich mit nichts anderem beschäftigen. Was unrealistisch ist.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten als Unternehmen die Aufgabe, bei so viel Inhalt so schnell abzuwägen, was strafbar ist. Was würden Sie tun? Um selbst nicht belangt zu werden, würden Sie im Zweifel alles löschen, was gemeldet wird. Das ist exakt, was Kritiker befürchten. Dieses Gesetz leistet einer voreilig gehorsamen Zensur Vorschub.
Der zweite Teil des Gesetzesentwurfs kam erst Ende letzten Monats dazu. Der ändert das Telemediengesetz, in dem steht, dass Internetprovider Kundendaten wie Name und Adresse z.B. für die Verfolgung von Terrorismus an Polizei herausgeben müssen. Neu ist, dass auch Privatpersonen bei der Verletzung von Persönlichkeitsrechten ohne gerichtlichen Beschluss Zugriff auf diese Daten haben sollen. Das heißt, wenn ich anonym eine zu harsche Kritik auf Amazon hinterlasse, kann es mir passieren, dass ich abgemahnt werde. Der Rechtsanwalt Niko Härting spricht vom Ende der Anonymität im Netz.
Der Staat lagert durch solche Gesetze seine Aufgaben an Soziale Netzwerke aus. Die werden nicht nur zu Hilfssheriffs, sondern auch zu Privatgerichten. Und das wider Willen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist gefährlich und dabei nur schlechtes Pflaster auf einem unterliegenden Problem, das dadurch nicht angegangen wird.
Hass und die Verbreitung von Propaganda sind komplexe soziale Phänomene, die nur gemeinsam zwischen Staaten, Netzwerkbetreibern und Nutzern angegangen werden können. Es braucht soziale Mechanismen, wie man eine vernünftige Umgangsatmosphäre online gewährleisten kann. Beispielsweise Anreizstrukturen, die belohnen, wenn ich einen Artikel erst lese, statt ihn für seine Überschrift zu teilen. Und einen breiten, nicht nur juristischen, Diskurs darüber, wo die Grenzen von Meinungsfreiheit liegen. Zensur und Aufhebung von Datenschutz werden nicht helfen. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist der Worst Case von technischen Lösungen für soziale Probleme.
Erst hatte ich gehofft, tatsächlich technische Lösungen für soziale Lösungen präsentiert zu bekommen. Wie etwa in Isaac Asimovs Foundation-Zyklus. Ich bin dennoch nach der Lektüre glücklich. Soziale Probleme als solche zu benennen und – auch – soziale Lösungen zu verlangen: Das ist genau richtig. Aber eben auch im Zweifel anstrengend für jeden Einzelnen. Bravo!